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Kritischer Journalismus und Polizeimeldungen

Eine Herausforderung für die Demokratie

Die unreflektierte Übernahme polizeilicher Angaben durch viele Redaktionen zeigt sich in der Behandlung von Polizeimeldungen als nahezu unantastbar. Das führt dazu, dass Journalisten oft als Steigbügelhalter für die Polizei fungieren, anstatt als Korrektiv aufzutreten. Dadurch gelangen falsche Informationen an die Öffentlichkeit und prägen das kollektive Gedächtnis.

Ein besonders einprägsames Beispiel für diese Problematik ist die Räumung eines besetzten Ladens in Berlin-Neukölln im Jahr 2017. Die Polizei behauptete damals, die Aktivisten hätten einen Türknauf unter Strom gesetzt, um Beamte zu gefährden. Diese Meldung wurde von zahlreichen Medien unkritisch übernommen, obwohl sich später herausstellte, dass der Vorfall so nie stattgefunden hatte. Der Schaden für die Glaubwürdigkeit des Journalismus war immens, denn spätere Korrekturen konnten die initiale Desinformation kaum noch wettmachen.

Auch bei Großereignissen wie dem G20-Gipfel in Hamburg und den Klimaprotesten in Lützerath wurden polizeiliche Darstellungen, etwa zu verletzten Beamten oder gewalttätigen Demonstranten, ungeprüft übernommen. Diese „blaue Opfererzählung“, wie sie im Text genannt wird, beeinflusste die Wahrnehmung der Öffentlichkeit nachhaltig und oft zugunsten der Polizei.

Ein weiterer Aspekt, der in der Berichterstattung oft zu kurz kommt, ist die kritische Auseinandersetzung mit Polizeigewalt. Eine Studie der Goethe-Universität Frankfurt aus dem Jahr 2023 zeigt, dass weniger als 2 % der Fälle von Polizeigewalt überhaupt vor Gericht landen. Betroffene erstatten oft keine Anzeige, weil sie die Polizei selbst als Ansprechpartner haben. Hinzu kommt, dass Gerichte in vielen Fällen eine polizeifreundliche Haltung einnehmen. Medien sollten hier eine besondere Verantwortung übernehmen und die Verflechtung zwischen Justiz und Polizei kritisch beleuchten, anstatt polizeiliche Pressemitteilungen ungeprüft zu übernehmen.

Die manipulative Kraft polizeilicher Kommunikationsstrategien zeigt sich auch in der Politik. Ein Beispiel dafür ist die Berliner Silvesternacht 2022/23, als die Polizei übertriebene Zahlen von Festnahmen und Verdächtigen mit Migrationshintergrund bekanntgab. Diese Berichte wurden von zahlreichen Medien ohne Vorbehalte übernommen und blieben lange Zeit online, obwohl sie sich später als falsch herausstellten. Die unkritische Verbreitung dieser Informationen trug zur politischen Stimmung bei, die Kai Wegner, Kandidat der CDU, für seinen Wahlerfolg nutzte. Solche Ereignisse werfen die Frage auf, inwiefern Polizeikommunikation bewusst eingesetzt wird, um bestimmte politische Ziele zu erreichen.

Besonders problematisch ist die mediale Polizeihörigkeit in Boulevardformaten. Diese neigen dazu, ausschließlich die Polizei oder Polizeigewerkschafter zu Wort kommen zu lassen, ohne deren Angaben kritisch zu hinterfragen. Dies führt zu einer einseitigen Berichterstattung, die das Vertrauen in die Medien schwächt und falsche Narrative befördert. Es ist alarmierend, dass in vielen Redaktionen noch immer eine enge Verflechtung mit der Polizei besteht, die eine wirklich unabhängige Berichterstattung verhindert.

Trotz einiger positiver Beispiele, wie der Aufarbeitung rechtsextremer Polizeichats oder des Nordkreuz-Komplexes, fehlt es in vielen Redaktionen an einer grundsätzlichen kritischen Haltung gegenüber der Polizei. Oftmals arbeiten Journalisten eng mit der Polizei zusammen, schreiben Bücher oder drehen Dokumentationen, in denen Polizeibeamte glorifiziert werden. Diese mangelnde Distanz ist eine Gefahr für den unabhängigen Journalismus.

Fazit: Der Journalismus muss seine Rolle als kritisches Korrektiv stärken

Die Beziehung zwischen Medien und Polizei muss neu definiert werden. Polizeiliche Angaben dürfen nicht mehr unkritisch als Fakten übernommen werden. Stattdessen sollten Journalistinnen und Journalisten jede polizeiliche Information gründlich hinterfragen und diese als eine von vielen möglichen Quellen behandeln. Denn nur durch unabhängige und kritische Berichterstattung kann der Journalismus seiner Rolle als vierte Gewalt gerecht werden und das Vertrauen der Öffentlichkeit zurückgewinnen.

Es ist Zeit, die journalistische Naivität abzulegen und sich der Verantwortung bewusst zu werden, die man gegenüber der Demokratie hat. Nur durch das ständige Hinterfragen der Machtstrukturen und die akribische Prüfung von Informationen kann guter Journalismus gedeihen.

„Ich zweifle, also bin ich Journalist“ – Dieses Motto sollte der Leitsatz für die Medien im Umgang mit polizeilichen Informationen sein.

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